Vielfalt, Inklusion...

...und tanzen, als ob niemand hinschaut!

Wenn ich nach D+I gefragt werde, überrasche ich manchmal mit der Antwort, dass - erstens - für mich Vielfalt mit der Vielfalt des Einzelnen, einer Person, beginnt. Und zweitens - dass ich Unternehmensnetzwerke zwar als wertvoll ansehe, um verschiedene Facetten, die vorhanden sind, sichtbar zu machen, aber das ultimative Ziel ist, all diese verschiedenen Facetten zu vereinen, um eine kreative und widerstandsfähige Organisation zu schaffen.

Im Juni hatte ich die grosse Ehre auf Rang 7 der "PROUTinSME"-Liste zu sein. Bereits im Mai dufte ich mit Albert Kehrer in einem der monatlichen Lunch Talks von PROUTATWORK zum Transition, Authentizität und Respekt für das Umfeld sprechen. Und dann erhielt ich im November die Gelegenheit, anlässlich der TEDxHWZ 2021 zu sprechen. Ich war zugleich sehr nervös und sehr aufgeregt, doch auch sehr glücklich, dass ich meine Lernreise zu Verletzlichkeit teilen durfte.

Die Möglichkeiten, Vielfalt zu betrachten, sind so vielfältig wie das Thema, um das es geht. Oftmals fangen Unternehmen damit an, ihren Rückstand bei der Gleichstellung der Geschlechter oder der Vertretung von Minderheiten in ihrer Organisation aufzuholen, indem sie Netzwerke schaffen und / oder Quoten festlegen. Die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz sollte - in der heutigen Zeit - gesunder Menschenverstand sein und nicht ein Projekt für eine neu geschaffene Abteilung.

«Vielfalt heisst, zur Party eingeladen zu werden. Inklusion ist, zum Tanzen aufgefordert zu werden. Zugehörigkeit ist tanzen, als ob niemand hinschaut.»

Verna Myers et al.

Die Vielfalt des Individuums und die Vielfalt der Organisation, wie ich sie in der Einleitung erwähne, sind eigentlich sehr ähnlich. Wir alle sind die Summe der Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen. Jeder Erfolg und jeder Misserfolg macht uns zu dem, was wir sind. Aufgrund meiner Transition bekomme ich oft die Frage gestellt, ob meine Karriere auch so ausgesehen hätte, wenn ich als Frau aufgewachsen wäre. Die Intention hinter der Frage ist: Hätte Ihr Arbeitgeber Ihnen die gleichen Chancen gegeben? Meine Antwort ist nein, aber aus einem anderen Grund. Die Tatsache, dass ich transgender bin, mich schämte und Angst hatte, entdeckt zu werden, hat mich dazu gebracht, hart zu arbeiten, um die Gedanken zu unterdrücken, die mich quälten, hat mich aus meiner Komfortzone herausgetrieben, um meinen Weg zu finden, hat mich dazu gebracht, das "Hoch" zu entdecken, das man bekommt, wenn man sein Unbehagen meistert und wie man sich auf dem Weg entwickelt und wächst. Die Person, die ich heute bin, ist die Summe all dieser Erfahrungen. Wäre ich als Frau geboren worden, wäre ich vielleicht immer noch CEO einer Versicherungsgesellschaft geworden, aber mein Weg dorthin hätte ganz anders ausgesehen.

All diese unterschiedlichen Erfahrungen erlauben es mir, eine Frage durch verschiedene Linsen zu betrachten und vielleicht mehr als eine Antwort zu finden.

Genauso wie eine Person die Summe ihrer Lebenserfahrungen ist, ist eine Organisation die Summe der Menschen, die dort arbeiten. Wenn man ihnen erlaubt, ihr ganzes und authentisches Selbst am Arbeitsplatz einzubringen, entsteht eine bunte, kreative und widerstandsfähige Organisation.

STELL DIR VOR...

Eine sechsköpfige Geschäftsleitung mit drei Männern und drei Frauen. Eine Mischung aus sexueller Orientierung und kulturellem Hintergrund... und sie alle haben in den letzten zehn Jahren dieselbe Business School absolviert. Wie viel Vielfalt, glaubst du, wirst du in ihrer Situationsanalyse und Entscheidungsfindung im beruflichen Umfeld finden? Wie aktiviert man die anderen Facetten ihrer Persönlichkeit?

Ladet die Männer zum Tanzen ein

In den letzten Jahren hatte ich die Gelegenheit, bei Firmenveranstaltungen - meist organisiert durch D+I der Organisation - über meine Geschichte zu sprechen. Nicht selten wurde ich einem (männlichen) Mitglied des Vorstands oder der Geschäftsleitung vorgestellt, das als Sponsor der D+I-Aktivitäten des Unternehmens präsentiert wurde.

Am Anfang fühlte ich mich geehrt. Mit der Zeit begann ich aber auch ein Muster zu erkennen. Ich sprach zum Frauen- oder LGBT+-Netzwerk des Unternehmens, das von jemandem gesponsert wurde, der nicht die Kriterien erfüllte, um Teil dieser Netzwerke zu sein.

In keinem der Unternehmen, die ich besuchte, fand ich ein D+I-Netzwerk für weisse, mittelständische, heterosexuelle, körperlich gesunde Männer.

Wie ich oben geschrieben habe: Wir alle sind die Summe unserer Lebenserfahrungen, und wenn wir versuchen, chancengleiche Arbeitswelten zu schaffen, in denen jeder seine unterschiedlichen Ansichten und Erfahrungen einbringen kann, dann übersehen wir die Facetten dieser Männer.

Und wenn Männer sich nur als Sponsoren und Schirmherren von D+I-Aktivitäten sehen, aber neben oder über dem Geschehen stehen, kann es keinen sinnvollen Dialog auf Augenhöhe geben. Auch Männer können etwas dazu sagen, wie es ist, einem bestimmten Typ entsprechen zu müssen oder an den Rand gedrängt zu werden, weil man mehr Zeit mit der Familie verbringen möchte, etc.

Liebe Männer, kommt bitte zu uns auf die Tanzfläche, damit wir voneinander lernen und gemeinsam als gleichberechtigte Partner unsere Organisationen verändern können.

Vielfalt in den Prozessen

In einer leistungsorientierten Kultur sollte immer die beste Person für den Job den Job auch bekommen.

In ihrem Buch "What Works", beginnt Iris Bohnet mit der Geschichte, wie Blind Auditions hinter einem Vorhang für Orchester die Zusammensetzung dieser Orchester zu mehr Geschlechtergleichheit veränderten. Wenn man die Art und Weise, wie man auswählt, auf die erforderlichen Fähigkeiten und den Charakter ändert und gleichzeitig die Aspekte, die unsere neutrale Linse trüben könnten, eliminiert oder reduziert, wird man einen grossen Schritt in Richtung gleiche Rahmenbedingungen machen.

Aber ich greife mir selbst vor. Bevor du auswählen kannst, müssen sich die Kandidaten bewerben. Du kennst bereits die Geschichte von der Anzeige mit den 10 Anforderungen für einen Job. Männer schauen sie sich an, erfüllen 5 von 10 und bewerben sich ("Den Rest kann ich immer lernen. Fake it, 'til you make it"). Frauen kreuzen 9 von 10 an ("Schade, dass mir diese eine Fähigkeit fehlt, das wäre eine tolle Job-Chance gewesen") und bewerben sich nicht.

Headhunter, Männer und Frauen sagen den Frauen: "Du solltest mutiger sein. Du musst nicht 10 von 10 Punkten haben, um dich zu bewerben. Go for it! Du kannst es lernen." Dem stimme ich zu! Das ist genau, worum es bei "Wachstum passiert ausserhalb der Komfortzone" geht. Aber wir können nicht alle extrovertierte, selbstbewusste Draufgänger sein. Wenn es nur einen Prozess gibt, um für einen Job ausgewählt zu werden, bekommst du nur Kandidaten, die sich innerhalb dieses Prozesses wohlfühlen oder erfolgreich sein können. Wenn du dich dafür einsetzt, eine vielfältige, inklusive und chancengleiche Belegschaft zu schaffen, musst du auch die Art und Weise, wie du nach Kandidaten für deine Positionen suchst, diversifizieren.

Vielfalt ist Kunst ist Vielfalt

Im Februar organisierte das Swiss Re Institute ihren ersten "The Power of We" Event mit Michelle King oder Prof. Dr. Gudrun Sander, die ihr Expertenwissen an ein grosses Publikum aus der Versicherungsbranche weitergaben. Interne Stimmen von Swiss Re teilten ihr Engagement, eine inklusivere und vielfältigere Organisation zu schaffen.

Die letzte Rednerin des Tages war keine HR- oder D+I-Expertin, sondern eine Künstlerin, die mit ihrer Kunst Vielfalt und unsere Einzigartigkeit greifbar und sichtbar macht, und sie hat unsere Herzen erobert. Angélique Dass ist eine wunderbare Menschenseele, aufgewachsen in Brasilien beschreibt sie ihre Familie als sehr bunt. Ihr Vater, der von ihren Grosseltern adoptiert wurde, intensiv schokoladig, ihre Grossmutter als porzellanfarben, ihr Opa eine Mischung aus Vanille und Erdbeere und ihre Mutter zimthäutig. Wenn man ihr zuhörte, wie sie andere Familienmitglieder als geröstete Erdnuss oder pfannkuchenfarben beschrieb, konnte man die Augen schliessen, um die Farben zu sehen und zu riechen.

Ihr farbenfrohes Familienerbe und ihre Erfahrung in der Fotografie trafen sich im Projekt "Humanae". Mit "Humanae" ist ihr fotografische lebendige Arbeit und eine ungewöhnlich direkte Reflexion über die Farbe der Haut gelungen. Mit Fotografie versucht sie, die wahren Farben der Menschheit zu dokumentieren und nicht die unwahren Etiketten "weiss", "rot", "schwarz" und "gelb", wie sie mit Rasse assoziiert werden zu verwenden. Es ist ein Projekt, das sich ständig weiterentwickelt und zeigt, was den Menschen einzigartig macht.

Derzeit existieren mehr als 4'000 Bilder, die unterstreichen, dass unsere menschliche Einzigartigkeit nicht nur von innen kommt, sondern sich auch in der Farbe unserer Haut widerspiegelt. Eine wirklich atemberaubende Visualisierung der Vielfalt.

Aber sie erklärt es noch viel besser in ihrem TED-Talk.


Vortrag zu Verletzlichkeit als "Superpower" beim Forbes Women's Summit 2019 in Zürich

Sollte Diversity+Inclusion ein Thema sein, das dich auch beschäftigt, dann zögere nicht und kontaktiere mich um herauszufinden, wie wir zusammen lernen und Fortschritte machen können.

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